Meine Lyrik


Stumme Berührung im Wasser. 

Eine Komposition in Lyrik und Prosa

 Teil 1
Letzte erste Wasser. Gedichte

Berührung. Erzählung
Teil 2

Der gefräste Stimmlaut. Ein Gedichtzyklus 

Teil 3


Der ausländische Blick. Gedichte an die Heimat

Tunesien 2018

Der gefräste Stimmlaut Teil 2



XLV 

Zeitknöpfe betätigen Augegriffel:
 Spitz nach vorn in die 
Ton-Masse hinein, von Hand getrieben.
Erstochene Formeln der Zukunft
Läuten Abruf - Erinnerung ein: Auf
das Gegebene.
Jäh kam es zurück,
Auf uns zu:
Als Narbenentz in der Gedächtnisnhaut.
Namen, Geburtstage und Tote sind
Darauf inwendig eingezeichnet.
An und für sich überdauert
Dies: Landkartenjahrhundert.


XXV

 Der ewigen Liebe erscheint des Streichlers

 narbiger Körper 

 als Kind. An meiner Hand 

 beruft sich die abgeblätterte Einfalt des Alters 

 auf das vergebliche Heimspiel.

 Weib sein, Hingabe - 

 handgleiches Feuer deines Asyls.



XXIV

 
In der langen Weile, 

 die folgte, 

 verschenkte der Tischler 

 im Ort 

 seinen letzten Stuhl.



 Er sägte die Beine schief,

 ließ den Magier kommen und machte sich auf die  Reise.



 Wir nahmen den krummen Platz ein. 



 Die Wände seines Hauses waren mit Perlenschnüren

 geschmückt. 



 Vor unseren Augen begann die Arbeit des Magiers. 


 Der geflickte Vorhang schrie 

 ins Karussell der Stunden. 



 Der Schausteller erbot weitere Stühle. 



 Zur Vorführung seiner Kunst 

 schoss er dem unbekannten Leichnam 

 ins Genick.


XIII

Depuis longtemps,  Philippe, 

j `ai vu: la même chose est aujourd`hui ou toujours.

Pleure donc, mon ami. Tu as pris les fleurs: la rue sens unique.

Rheingau, Oestrich - Winkel 2020

Der gefräste Stimmlaut Teil 1


Ein Zyklus von  60 Gedichten  -   Auszug


XXI

den unbekannten soldaten, philippe, 
schenkte ich narben und desdemonas anblick
ihre haut ihr haar und ihr mund
schauten zurück und ich nahm sie,
nahm sie alle gefangen, zeugte den,
der sich zuerst verbarg
- wir vergaßen den krieg -
die zeit
einer nierderlage und diese worte:
yo quiero todo, yo quiero nada...




XLVII

So! / verklag ich den tod/auf dem weg in dein leben /

besing / deine sterblichkeit im ewigen refrain / 
der angst die außer auf geld/ noch auf glück hofft / auf augenhöhe / auf eine sichtblende / die uns auf rufweite / verstört: Wir




LIV

Ein unbekannter Koch,
arbeitslos,
geht betteln.
Mit mir, sagt er, nicht -  aber verstehen Sie mich recht,
es ist Lotterie, was sonst
könnte heute ein Gefühl sein
außer Darstellung, Zeugung von 
Beugehaft. Dann aber rüht er Tränen an 
und kocht wieder Suppe,
die auf der Straße schmeckt: Über  Wochen und Worte hinweg.  Iss, sagt er, wir sind unter uns.


LV

Tochter, dieses Haus ist deins;
Es hat keine Tür, muss
Ein hohles Grab sein
aus dem Stein, Granit, dem Fels
Den du gebaut hast;
Mutter
Gab Dir die Anschrift, die sich
Verändert mit deinem Namen,
 Und diesem Buch.

Ein
Gewandertes Ich über den Zaun hinweg,
Zur Stadt,
Die du weithin erkanntest,
Damals schon, als alles und nichts
Dir entgegen kam
Auf der langen Reise,
die hinter diesem Haus
Verschwand.

Jezioro Pluszne - Polen

LETZTE ERSTE WASSER


Auszüge aus einem Gedichtband einer 18 - 25 Jährigen 


Nur Salz

Bin die, die ich gewesen,
die den Tod hinter den
Mauerritzen aufsuchte, zwischen
Gartentor und Unkraut
einen Winter lang Samen beschlief.

Als andere unter anderen
schon morgens bewacht,
nicht aber als ich jene Haut
entbehrte und Salz
zwischen den Schleimhäuten.
 _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ _ _

scherben zuhauf

scherben zuhauf, lavendel,
duftend nach heu und
aber glauben, du liebste
aller elfenbeinigen, du
eiserne erwachsenheit:

weh mir, hörte ich´s sprechen,
sterbend, von edleren kelchen,
aus denen zu schöpfen
am ziel unserer träume
und ach, dir gelänge es! -

aber mein sind sie nicht,
noch des kraters gräben,
herbeigeredet, am ende
der liebe geziehen, bald
schonungslos überführt,-

es gab sie nicht ?
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - --


Abendstern

Und sie sah ihn und fragte nicht, woher
er gekommen war. Er kam auf die Welt
zu, das sah sie und sah, dass er kam.

Und am nächten Tag war  es hell und der
Brunnen vertrocknet. Und die Leute standen
umher und fragten anch Rat. Und er schwieg.

Und nach der Zeit, die vergangen war, wasserlos,
 wie zuvor, kam er staubigen Fuße die Straße
entlang. Und sie sah ihn wieder und wieder.

Und am Abend fiel Himmel ins Meer, auf die
Dunkelheit. Und sie zogen die Schuhe aus
und holten das Wasser herein, in den Brunnen.

Und sie kosteten und beklagten nicht, dass der
Mond ihnen faltig schein. Und sie sahen
sich an und sie sahen die falschen Gesichter.
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Wir uns selbst
 
UND IHR HABT GESCHWOREN

Den Nimmersatt des Aberglaubens
Zu behungern

UND IHR HABT GESCHWOREN

Auch des Totengräbers Schatten
Zu betrauern 

UND IHR HABT GESCHWOREN 

Wegen eines Königs Drachen
fliegen zu lernen schon lange 

IHR HABT GESCHWOREN 


UND IHR HABT GESCHWOREN

Der Lustbarkeit stünde
die Brandung

UND IHR HABT GESCHWOREN

Der Stummheit des Fischmauls
die Gräte nicht anzudienen 

UND IHR HABT GESCHWOREN

Am splitternackten Gipfel
glühend zu entzünden

IHR HABT GESCHWOREN

IHR HABT GESCHWOREN BIS ZULETZT

UND IHR HABT EUCH GESCHWOREN
NICHTS ZU HALTEN DAVON
UND IHR HABT EUCH GESCHWOREN
NICHTS DAVON ZU HALTEN


(und am Ende nicht einmal das)
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 




Bardo Museum in Tunis

Der ausländische Blick. Gedichte an die Heimat

 (Auszug)


1


Schon dort, wenn gar nicht angekommen.

Noch hier, stets voller Ungeduld.

Geh weg 

Heißt: Gehweg, lange Strecke

Weg zu Dir.



So lange es dauert, gehen wir.



Ich sehe Deine Beine. Ich sehe Deinen Hals.

Ich nehme Zeit von Dir, die Deinen Weg begleitet.



2


Der Brief liegt weich und weiß

Und ungefaltet neben dem Tintenfass. 



Ich schreibe alles auf, was ich nicht kenne.



Was zu spät kam, zu früh

Und unbegreifbar blieb, entglitt.



Ein Satz ist viel an diesen Tagen,

an denen das Papier ausgeht, davon

läuft mir der Schweiß.



Es entstehen Abdrücke

von dem, was ich schreiben wollte,

das Blatt legt sich über das Blatt - fast von selbst

weg.



Reste: wie man Post an sich selbst schreibt

Kleben an meiner Hand.



Die Tischkante berührt mich noch.



3


Mit den Fingern hinterlasse ich Spuren

auf meiner Haut. Ich fasse nach mir.

Mein Streicheln entfernt das Denken,

den laufenden Bildschirm: Erkenntnisnot.

Aus allem wird eine einfache Handlung

über stillhaltendem Busen.



4


Ein beklemmendes Gefühl:

Brustwarzen zu haben, die sich auf & ein

Richten nach Bedarf

Geküsst werden will ich, bei ihnen sein

Während alles fließt




























REZENSIONEN siehe unten

REZENSIONEN  STUMME BERÜHRUNG IM WASSER

WS

 

5,0 von 5 Sternen Zur Sinnlichkeit der Frau - ganz aus Frauensicht 

Rezension aus Deutschland vom 27. Februar 2020

Stefanie Gödekes „Komposition in Lyrik und Prosa“ entwickelt die Grundthemen ihrer bisherigen zwei Prosawerke weiter - in einem noch stärker lyrisch surrealistischen Rahmen. Als Komposition besteht das Buch aus mehr als 100 Gedichten und einer Erzählung. Sie stellen ein einheitliches Konstrukt dar, nicht linear, auch mal sprunghaft erzählt, mit eingebauten philosophisch-anthropologische Reflexionen, auch virtuos-elegischen Passagen, das alles verknüpft mit einer raffinierten, teilweise sprachlich und ästhetisch verspielten, mitunter den Leser fordernden Dichtungs- und Erzähltechnik. Im Mittelpunkt der Erzählung stehen zwei junge Frauen mit ausgeprägten erotischen Phantasien und Bedürfnissen nach einem erfüllten Dasein. Es ergeben sich Paarungen, die immer wieder die „stumme Berührung“ suchen, gleichsam in der Wärme des embryonalen Wassers oder sich entfaltend unter der scheinbar glatten, fast rationalen Wasseroberfläche. Im unter der Oberfläche liegenden Unbewussten, dem Natürlichen, den tiefen Gefühlen und Trieben, von denen sie in Wahrheit geleitet werden. „Sie komponieren ihr Leben, während sie dirigiert werden“ schreibt Gödeke auf dem Klappentext. Sie will weibliche Identität forcieren, fragend nach der Bedeutung von Geschlechtlichkeit für moderne Frauen. Züge fahren unaufhaltsam zwischen fremden Ländern und Menschen hin und her, Züge ins Leben, Züge über Körper, unbeirrt vorbeirasend, ohne dass immer das Ziel festläge, fast wie bei Saint-Exupéry. Paare im Sinnenrausch, im Verlangen, in Begehrlichkeit und Leidenschaft. Immer aus weiblicher Sicht, mit Blick auf die weibliche Erotik und weibliche Phantasien, auch mal Konventionen sprengend. - Eine Komposition, die es dem Leser nicht leicht macht, ihm aber umso mehr zurückgibt, wenn er immer wieder darauf zurückgreift, um Passagen nachzulesen oder sich in einzelne Gedichte erneut einzustimmen. Leseempfehlung der besonderen Güte.
 
 Stumme Berührung: Menschen begegnen einander heimatlos in fremden Ländern und suchen einander näher zu kommen, einander zu berühren. Diese Berührung gelingt auch im Blick auf den Leser. Er erlebt ergreifende Familienschicksale, den geschundenen Menschen unter dem Zirkusdach des Lebens. Und kommt doch schließlich zu Hause an, vereint, geheilt. Immer wieder spielt Sexualität eine entscheidende Rolle. Selbst in phantastisch-surrealen Situationen, in seltsam kafkaesken Räumlichkeiten, spürt man das tiefe Verlangen nach Liebe und weiblicher Identität. Die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge verschwimmen. Hilflos erregte Männer in und aus Phantasiewelten bleiben gleichsam auf den Bahnsteigen zurück. Und doch unterliegen auch sie der Sehnsucht nach Liebe. Ursprünglich als Einzelne und Einsame geworfen in dieses Leben, kommen sie endlich zu Hause an, sind vereint, um neu aufzubrechen.
 
 Eine Komposition ganz aus Frauensicht geformt, romantisch, verspielt, manchmal fast mystisch. An zwei Stellen mit Musik (Partitur) unterlegt. Das gibt es nicht oft im heutigen Literaturbetrieb. 

 

 

 



Amazon Kunde

 

5,0 von 5 Sternen Schicksale, Romantik und Lyrik 

Rezension aus Deutschland vom 31. März 2020

Eine außergewöhnliche Zusammenstellung lyrischer Texte, die zum Teil Assoziationen an die Dichtung der Romantik aufkommen lassen, andere hermetisch, aber immer tiefgründig, zum Nachdenken anregend, den Leser stets fordernd. Oberflächlichkeit und Flüchtigkeit kommen bei dieser Lektüre nicht auf.
 Die Frage der stummen Berührung oder Nicht-Berührung, des Vorbeigehens oder Hinsehens wird in der Erzählung in sprachlich und inhaltlich anspruchsvoller Form aufgeworfen, vielleicht ohne eine Antwort, wie es in menschlichen Beziehungen so häufig ist...
 Lesenswert und schön geschrieben mit viel Niveau und noch mehr Gefühl für die menschliche Existenz in ihren unterschiedlichen Facetten und sprachlich kunstvoll wie gute Literatur sein sollte!
 Auf jeden Fall empfehlenswert! 

 



RJK

 

5,0 von 5 Sternen (Gar nicht so) stumme Berührung im Wasser 

Rezension aus Deutschland vom 26. April 2020

Eine von lyrischen Texten und Musikpartituren umrahmte Erzählung, die dem Geschriebenen zusätzlich Klang verleihen - neben den Texten beinhaltet der Band also auch ein auditives Erlebnis - und kommt somit viel weniger stumm daher, als es der Titel vermuten lässt.
 
 Wie auch die Vorgänger der Autorin anspruchsvoll geschrieben, mit immer wiederkehrenden Motiven, eingebettet in romantische Passagen von Figuren, die sich gleichzeitig unendlich nah und fern zugleich zu sein scheinen: Geschichten voller Antagonismus und gleichzeitig Affinität. In diesem Sinne sind auch die lyrischen Passagen hervorzuheben, manche möchte man immer und immer wieder lesen. Empfehlenswert!